© Thomas Wågström

Er gilt als wichtigster norwegischer Autor der Gegenwart. 

Seine autobiografischen Bücher in sechs Bänden sorgten weltweit für Aufsehen. Sie wurden in über 30 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. 2015 bekam Knausgard den WELT-Literaturpreis, in diesem Jahr erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Und nun gibt es wieder eine Serie, die Jahreszeiten-Bände. Nach „Im Herbst“ ist nun passend zum bevorstehen meteorologischen Winteranfang sein Buch „Im Winter“ erschienen.

Ich war skeptisch und habe mit gemischten Gefühlen angefangen zu lesen, an einem grauen, verregneten Tag. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Ich wusste nur, dass seine sechs autobiografischen Bände, allein der Band „Lieben“ hat fast 1400 Seiten, schockierten und begeisterten. Ich bin zwiegespalten, wenn der Autor sein Innerstes preisgibt und damit Erfolg hat, weil Menschen gerne und schnell zum Voyeur werden.

Karl Ove Knausgard, 1968 geboren, lebt an der Südküste Schwedens, nicht in Norwegen.

Er wirkt verschlossen, nachdenklich, hat ein zerknittertes, verlebtes Gesicht, mit einer langen, tiefen Zornesfalte, längere graue Haare, einen leichten grauen Bart und raucht viel. Er hat erzählt, dass es mit dem Schreiben am Anfang gar nicht geklappt hat, bis er einem Verlag etwas sehr Persönliches, Schockierendes angeboten hat und das schlug dann ein wie eine Bombe. Er selbst kann diesen Erfolg immer noch nicht fassen. Aber schön für ihn, denn er muss ja auch seine Familie und die vier Kinder versorgen. Seine Frau hat übrigens vor einem Jahr die Scheidung bekanntgegeben.

Diesmal schreibt er an seine ungeborene Tochter. Es sind kurze Kapitel, mit  persönlichen Gedanken und Ansichten des Autors, wie aus einem Tagebuch.

Er schreibt über alles, querbeet. Im ersten Teil, Briefe an eine ungeborene Tochter, 2.Dezember, spricht er sie direkt mit du an. Sie soll seine Zeilen später einmal lesen, und er beschreibt sie im Bauch der Mutter und seine Gefühle, die er dabei hat.

Und dann begegnen wir schon dem typischen Stil von Karl Ove Knausgard, er schildert einen ganz einfachen, banalen Gegenstand oder Sachverhalt, und nimmt uns dann sanft mit, das merkt der Leser gar nicht, in seine philosophischen Betrachtungen, in sein Seelenleben. Er ist ehrlich und man denkt als Leser, ja das stimmt, da hast Du Recht, aber so habe ich noch nie darüber nachgedacht. Karl Ove Knausgard hat eine andere Betrachtungsweise der Dinge.

Ein Beispiel: Er beschreibt einen Stuhl. Wir lesen, der Stuhl besteht aus vier Beinen… und dann assoziiert er den Stuhl mit der Gesellschaft, da der Stuhl denjenigen absondert, der auf ihm sitzt. Der Stuhl habe also etwas Abweisendes, im Gegensatz zu einer Couch. Er sei wie eine kleine Insel im Raum, zu der keiner mehr Zugang hat, wenn er einmal besetzt ist.

Und so verfährt er mit vielen anderen Gegenständen, die völlig unspektakulär sind, dann aber eine tiefgründige Bedeutung bekommen: Rohre, Reflektoren, Kuscheltiere, er beschreibt die Nase, Zahnbürsten und Q-tips.

Natürlich gibt Karl Ove Knausgard auch wieder Persönliches preis.

Er gesteht seine große Angst vor Frauen und welche Auswirkungen das auf sein Sexleben hat. Auch diese Intimität plaudert er ganz locker aus, und offenbar ist gerade das für viele faszinierend.

Es ist bei ihm Zuhause sehr unordentlich und er schämt sich jedes Mal fürchterlich, wenn unerwartet Besuch kommt.

 

Er greift aber auch Stimmungen des Winters auf, wie in Schneewehen, der erste Schnee, Wintergeräusche. Und es geht um Weihnachtsgeschenke, Weihnachtsmänner und Silvester.

Der Brief an die Tochter ist eher der Rahmen, um eigene Gedanken und Erlebnisse mitzuteilen. Es gibt ein weiteres Kapitel über seine Tochter, als sie am 29. Januar geboren wird. Ich hatte mehr Gedanken über das ungeborene Kind erwartet und hätte es mir auch gewünscht. Ich bekam schnell das Gefühlt, da schreibt Karl Ove nicht mehr an seine Tochter.

Ich habe damit gerechnet, das dieses Buch von Karl Ove Knausgard schwermütig ist, aber das ist es nicht. Der Leser fühlt sich geborgen in der Gedankenwelt des Karl Ove Knausgard. Es sind leichte Gedankenspiele, in denen man sich auch selbst wiederfindet.

An manchen Stellen muss man sich konzentrieren, um zu verstehen, was er genau meint. Insgesamt folgte ich aber gerne seiner besonderen Wahrnehmung der Welt. Und darin liegt auch seine Kraft, weniger in poetisch schönen Sätzen.

Was ich unbedingt erwähnen möchte, es gibt sehr schöne Bilder, Aquarelle, in diesem Buch, von dem bekannten schwedischen Maler Lars Lerin. Sie geben die Stimmung wunderbar wieder und sorgen dafür, dass wir innehalten, um über die vielfältigen und außergewöhnlichen Betrachtungen Knausgards nachzudenken.

Info: Die Bände „Im Frühling“ und „Im Sommer“ erscheinen im Frühjahr 2018.